KAMMERT:
I. Allgemeines.
II. Holzkammert: A. Offener Kammertbau.- B. Geschlossener Kammertbau: 1. Geschlossener einfach getrudelter Kammertbau.- 2. Doppelt getrudelter geschlossener Kammertbau.
III. Drahtkammert.
IV. Umstellung auf Drahtrahmen.
I. Allgemeines: Bei der sog. Kammerterziehung, v. den Winzern Balkenweingart, Kammert, Kammertbau, Kammer-, Kammertweingart genannt, handelt es sich um eine heute ausgestorbene niedere Art der REBERZIEHUNG, die bis zu Anf. des 20. Jhs. hauptsächl. im südl. Teil des Weinbaugebiets PFALZ u. im angrenzenden ELSASS, aber auch an der Bergstraße (HESS. BERGSTRASSE, BADEN) praktiziert wurde. Beim Offenen Kammertbau bestand das Reberziehungsgerüst aus einem Rahmen aus Stützpfosten u. langen Stangen, beim sog. Geschlossenen (einfach getrudelten) Kammertbau wurden noch Querbalken (Trudel I (Balken)) eingezogen, beim Doppelt getrudelten geschlossenen Kammertbau zusätzl. 2 weitere parallel verlaufende Stangen angebracht. Der WKW-Zusatzfragebogen mit 47 Fragen u. 2 Abb. zum Kammertbau war nur in Rhodt unter Rietburg (PFALZ) abgefragt worden.- II. Holzkammert: Alle Teile der Kammertanlage bestanden aus Holz, die mit Weide (BINDEMATERIAL) miteinander verbunden wurden. Da für den Aufbau dieser ANLAGE viel Holz nötig war, besaßen die Winzer in der PFALZ hierfür oft eigens Edelkastanienwälder. Vielfach wurden die Stützpfähle (Stiefel II (Pfahl), Stüpfel) selbst hergestellt, tw. wurde diese ARBEIT aber auch v. einem spez. Berufszweig (Balkenrisser) erledigt. Die Pfähle versah man oben mit einer Kerbe (Falz, Falze, Stiefelhals), in welche die Längslatten eingelegt wurden. Mit Band, das ist Weide, wurden sie dann festgebunden. Drei bis vier Zeilen bildeten einen Schemel, auf diesen folgte ein begraster Pfad, dann wieder ein Schemel. Anstelle v. Holzpfählen wurden aber auch Pfosten aus Stein verwendet. Die im Abstand v. ca. 1,00-1,10m stehenden Stiefel mit einer Höhe v. ca. 0,60-1,00m wurden in Richtg. der Zeile durch Längsbalken (auch Streckbalken, Trudel, Truder genannt) bzw. durch Querbalken verstärkt. Für die Balken wurde meist Edelkastanienholz, stellenweise aber auch Eichenholz benutzt. In Freimersheim bestand die ganze Anlage aus Eichenholz. Hier wurden die Balken in spez. Betrieben hergestellt, ebenso in Gleiszellen. Die Längsbalken waren in Freimersheim 4m lang; bei jeder 4. Rebe wurde ein Querbalken aufgelegt. In Rhodt unter Rietburg wurde die Kammertanlage in Schuh gemessen, bei einem Stockabstand (Abstand v. Rebstock zu Rebstock) v. 80cm, d.h. ca. 3 Schuh. Der Querabstand, d.h. die Breite des Gangs (Gang), betrug 5 Schuh (ca. 1,40m). Zur Ermittlg. der Höhe der Kammertanlage, die ca. 60cm betrug, galt folg. Regel: eine Kniehöhe u. eine Faust darauf. Wurde ein Stück Balken anstelle eines zerbrochenen Balkens eingesetzt, dann sagte man: Das ist ein Stück (Stuck, Stück) auf ein Loch. Das Herausziehen der Pfähle durch leichtes Hin- u. Herwackeln mit der Hand hieß "Stiwwele wäggle (wäckeln)". Mit Weide (Wilge, Wilgenbaum, Wilgenstock) wurden sowohl die Holzteile der Anlage als auch die Reben bzw. das Fruchtholz (HOLZ/TRIEB) befestigt. Die hierzu verwendeten Weidentriebe hießen Biegzinken. In Rhodt unter Rietburg wurde früher für das Verbinden der Balken u. das Anbinden der Reben mit Weide der Ausdr. Kammert machen verwendet. In der Grasfurche schnitt man das Gras mit der Sichel ab u. transportierte es mit dem Grastuch (Streuseltuch) nach Hause.- A. Offener Kammertbau: Beim Offenen Kammertbau sind die Stützpfähle mit (einfachen) Längslatten miteinander verbunden; Querlatten sind keine vorhanden. In Malsch (BADEN) bestand die Anlage, Kammertweingart genannt, aus Akazie u. Eiche. Die Latten wurden nicht aus Akazien- od. Eichenstämmen herausgesägt, sondern herausgerissen (reißen). Auf die hölzernen Stützpfähle (Stickel, Stichel), die 1,00-1,20m hoch waren, wurden Holzlatten genagelt. Die Latten hießen Truder. War eine Latte zu Ende, so wurde ca. 1m frei gelassen u. dann erst die Belattg. fortgesetzt. So entstanden Durchgänge, die aber nicht gerade, sondern im Zick-Zack verliefen. Eine ähnl. Erziehungsart schildert auch die GWP aus Schriesheim; die Längslatten hießen hier Truler (Truder), die Stützpfähle Stiefel (Stiefel II (Pfahl), Stüpfel).- B. Geschlossener Kammertbau: Beim Geschlossenen Kammertbau (Balkenweingart, Stiefelweingart) handelt es sich um eine Kammertanlage mit Längs- u. Querlatten.- 1. Geschlossener einfach getrudelter Kammertbau: Der Geschlossene einfach getrudelte Kammertbau handelt ist eine Anlage ohne sog. Trudelbalken.- 2. Doppelt getrudelter geschlossener Kammertbau: Der Doppelt getrudelte geschlossene Kammertbau, auch Doppelkammer-Erziehung genannt, ist eine Anlage mit einem starken Längsbalken u. darauf liegenden Querbalken zur Verstärkg. u. 2 dünneren, re. u. li. parallel zum Längsbalken verlaufenden Latten zum Befestigen des Fruchtholzes. Diese werden Trudel od. Trudelbalken genannt. In Deidesheim, Haardt u. Schweigen (PFALZ) wurden die Weinberge mit Doppelkammer-Erziehg. als Balkenwingert bez. Folg. Arbeiten waren in der Kammertanlage zu erledigen: grasen, kammerten, länderichen, Ort machen, zusammenlesen.- III. Drahtkammert: Die Drahtkammertanlage kann als Übergangsform v. der Holzkammertanlage zum mod. DRAHTRAHMEN betrachtet werden. Zuerst wurden die Querbalken entfernt, dann die Längsbalken sukzessive durch Draht ersetzt. In den Sprachaufnahmen aus der PFALZ wird dieser Wandel deutl. beschrieben: In Rhodt unter Rietburg wurden nach 1901/02 die hölzernen Stützpfähle durch Steine mit Eichenkreuzen, später mit Metallkreuzen (Kreuzlein, Weingartseislein) ersetzt. Ähnl. geschah auch in Freimersheim; der Terminus Kammertbau, Kammer- wurde jedoch beibehalten.- IV. Umstellung auf Drahtrahmen: Nach den Ang. der GWP wurde der Drahtrahmen in Deidesheim (PFALZ) um die Jahrhundertwende od. auch schon früher eingeführt. In Schweigen bestanden die Kammertanlagen bis 1928/30. Aber schon in den 1890er J. wurde wegen der aufkommenden Spritzarbeiten (SPRITZUNG) damit begonnen, die Querbalken durchzuschneiden u. 1911 auf 3 Drähte (mit 3 Fruchtruten) umgestellt. Der Drahtrahmen (Spalierbau) sei verstärkt in den J. 1927-1930 aufgekommen u. aus dem ELSASS übern. worden. In Wissembourg/Weißenburg habe es ihn schon vor dem 1. Weltkrieg in den besseren Weingütern gegeben. In Leinsweiler war seit 1910 der Drahtrahmen nur vereinz. zu finden. Der Kammertbau soll zu diesem Zeitpunkt noch vorgeherrscht haben; erst in den 1920er J. sei hier die Reberziehg. ganz auf Drahtrahmen umgestellt worden. Auch in Freimersheim wurde i.d.Mi. der 1920er J. die Kammertanlage durch den Drahtrahmen (Drahtbau) ersetzt. In Haardt war die Drahtrahmenerziehg. schon vor dem 1. Weltkrieg gebräuchl., um das J. 1914 war hier nur noch ein einziger Weinberg mit Kammerterziehg. zu finden. Auch die Höhe des Rebstamms änderte sich beim Übergang v. Kammertbau zum Drahtrahmen. So war früher in Haardt der Rebstamm 45cm, später im Drahtrahmen dagegen 80cm hoch. In Malsch (BADEN) wurde der Offene Kammertbau - die Kammerte bestanden bis 1870 - zuerst v. der Pfahlerziehung, Pfähl- abgelöst (z.B. wurde die Rebsorte Portugieser nur am PFAHL erzogen), später wurde dann die Pfahlerziehg. v. Drahtrahmen verdrängt.- s.a. Doppelkammer-Erziehung (Scharff 1995, 43, Abb. 21); Doppelrahmen (ib. 27, Abb. 9); Gegitter (ib. 95, Abb. 41).-Lit.: Ambrosi 1998, 172; Bassermann-J. 1, 1975, 415. 521; Besse 2001c; Besse 2004, 37f. 41. 44; Besse 2005b; Bronner 1833; Dern 1914, 35, Fig. 11; Lehnert 1905; Metzger 1827, 136; Müller K. 1930, 403; Scharff 1995, 2004; Schattenmann 1864, 7; Schumann 1998, 117; Schumann 2004, bes. 209ff.; Sebastian 1910; WKW 48/225. 53/260.- M.B. |
Kammertbau vorne, im Hintergrund Drahtrahmenanlage Offene Rahmenanlage mit Kopfschnitt Offene Rahmenanlage mit Schenkel-Bogrebenerziehung Geschlossene Kammertanlage ohne "Trudeln" Geschlossene Kammertanlage ohne "Trudeln", im Hintergrund Geschlossene Kammertanlage mit "Trudeln" Geschlossene Kammertanlage mit "Trudeln" Geschlossene Kammertanlage mit "Trudeln" Drahtkammertanlage im alten Traminerweinberg in Rhodt unter Rietburg Geschlossene Kammererziehung mit Längs- u. Querbalken Tonbsp.: Bodenarbeit in der Kammertanlage: Hacken, Graben, "Ort machen" u. rühren (Freimersheim, Pfalz, Deutschland) Tonbsp.: Kammertbau (Freimersheim, Pfalz, Deutschland) |